Der Daten-Literat

Ein “Literat” war um die Wende zum 20. Jahrhundert ein Schriftsteller, der sich nur der Literatur verpflichtet fühlte und vorzugsweise im Kaffeehaus anzutreffen war. Doch nun stellt bildungsklick die Frage: “Wer ist Datenliterat?” Etwa jemand im 21. Jahrhundert, der mit Hilfe eines künstlich intelligenten Literatur-Algorithmus Daten produziert? Oder jemand, der sich nur noch seinen Daten verpflichtet fühlt?

Seit geraumer Zeit werden neben wissenschaftlicher Literatur auch die dazugehörigen Forschungsdaten gesammelt. In der Natur bzw. im Begriff von “Daten” liegt, dass sie ohne Kontext ziemlich wertlos sind. Dann belegen sie nur Speicherplatz und/oder Rechnerleistung.

Stufe 1

Um ihnen Sinn zu geben, müssen sie zuerst einmal strukturiert werden. Dabei kann angenommen werden, dass die meisten Forschungsdaten in Form von Tabellen vorliegen. Diese Tabellen sind vielleicht sogar über Relationen verknüpft, wenn sie Teil einer Datenbank sind. Grafische Darstellungen dieser Daten sowie ihr Kontext (Wozu wurden sie erstellt? Welche Forschungsfragen haben sie beantwortet?) sollten in einer wissenschaftlichen Arbeit publiziert worden sein.

Nun wird von Studierenden genau das gefordert. Und wenn sie ihre Daten korrekt beschriftet und gespeichert haben, dürfen sie sich “Datenliterat” (oder “data literate”) nennen.

Stufe 2

Wer arbeitsmarktkompatibel sein will, muss sich möglichst viele Kompetenzen aneignen. Da trifft es sich gut, dass “literate” im Deutschen mit “kompetent” übersetzt wird. Und schon wird aus dem kompetenten Umgang mit Daten die “Datenkompetenz” (oder der Datenliterat).

Stufe 3

Kompetenzen müssen vermittelt werden. Daher ist es die Pflicht und Aufgabe der Hochschulen, ihren Studierenden Datenkompetenz/Data Literacy zu vermitteln. Was bisher als Bestandteil des “Wissenschaftliches Arbeitens” verstanden wurde, wird sicher schon bald ein eigenes Unterrichtsfach, dann ein eigenes Department (für Data Science) und schließlich ein separates Curriculum (Daten-Literatur?) – ganz so, wie wir es von vergangenen Modeerscheinungen wie Informationswissenschaft und später Wissensmanagement kennen.

Stufe 4

Wer vermittelt, muss auch evaluiert werden. Auch wieviel vermittelt wurde, muss gemessen werden. Dazu braucht es Messkriterien. Wie sonst könnte der Markt den Wert der vermittelten Kompetenz einschätzen und monetarisieren.

Das Hochschulforum Digitalisierung (HFD) hat nun zwei Arbeitspapiere veröffentlicht, in denen ein Kompetenzrahmen für das Vermögen, Daten zu verstehen und aus ihnen Informationen und (Handlungs-)Wissen abzuleiten, vorgestellt wird.

Dieser Kompetenzrahmen umfasst Skills wie

  • Informationsbeschaffung (Information Literacy),
  • Statistische Kenntnisse (Statistical Literacy),
  • Kompetenz im Umgang mit Medien (Media Literacy),
  • Kompetenz im Umgang mit ethischen Fragen bei der Verwendung von Daten (Ethical Literacy).

Die eigentlichen Ziele sind jedoch

  1. “ein Kompetenzrahmen für Digitalkompetenzen” und
    • “die Messung von Wirkung und Qualität von Lehre und Studium im digitalen Zeitalter wie auch
    • die Testentwicklung für Digitalkompetenzen”.

Fazit

Die Abgrenzung der Datenkompetenz zur Informationskompetenz innerhalb der Digitalkompetenzen und welche Vorteile sich daraus ergeben, bleibt unklar. Es sieht eher nach Begriffs- und Kompetenz-Wirrwarr aus.

Dazu soll selbstkritisch angemerkt werden, dass wir heute zwar von Daten, Informationen und Wissen sprechen, als wären sie völlig unterschiedliche Konzepte, die jeweils eigene Kompetenzen erfordern. Dabei übersehen wir, dass diese Begriffe nur verschiedene Zustände desselben “Stoffes” beschreiben, so wie Schnee, Tau und Nebel verschiedene Zustände von H2O beschreiben. Auch “Digitalkompetenzen” lösen das Wirrwarr nicht auf, solange nicht alle Daten und Informationen ausschließlich nur noch digital verfügbar sind.

Es bleibt abzuwarten, wann das erste Zertifikat oder Diplom für den herausragenden Umgang mit Daten (und nicht “bloß” für wissenschaftlich-fachliche Exzellenz) verliehen wird.

Es könnte an einen Daten-Literat gehen, der Daten über die Vermittlung und Anwendung von Datenliteratur beschafft und statistisch ausgewertet hat und dabei ein Auge auf den Medien und ein anderes auf den ethischen Fragen hatte. Wer die Daten dereinst wozu verwenden könnte, liegt natürlich jenseits seiner ethischen Verantwortung und jenseits jeglicher Evaluation seiner Arbeit.

>>> Zu den Arbeitspapieren des HFD

 

Leave a Comment

This site uses Akismet to reduce spam. Learn how your comment data is processed.