Bibliothekskompetenz ist nicht genug

“Informationskompetenz” war einmal auf den akademischen Umgang mit Fachinformation beschränkt, quasi eine Spezialkompetenz, die nur Wissenschaftler brauchten (Sicht im deutschsprachigen Raum). Konsequenterweise konnte man diesen Umgang nur an den wissenschaftlichen Fachbibliotheken erlernen, denn dort waren die Fachinformationen zuhause.

Viele Bibliothekare glauben das noch immer. Dabei führen sie an, dass auch die Bibliotheken mittlerweile auf digitale Techniken und Medien umgestellt haben. Sie ignorieren jedoch, dass Informationen heute nicht mehr nur aus wissenschaftlichen Publikationen gewonnen werden.

Was erwartet man von einem Bibliothekar?

Natürlich Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft; aber primär ist es Bibliothekskompetenz. Deretwegen wendet man sich an einen Bibliothekar und nicht an einen Buchhändler.

Warum betrachten sich Bibliotheken gerne als Hort der Informationskompetenz (statt Bibliothekskompetenz)?

Unter den Bibliothekaren hat sich ein fachspezifisches Verständnis von “Informationskompetenz” entwickelt. Der kompetente Umgang mit Information setzt demnach die kompetente Anwendung von bibliothekarischen Methoden und Instrumenten voraus. Dazu zählt auch die didaktische Vermittlung dieser Methoden und Instrumente an die Benutzer als Erweiterung von Auskunftgeben und Beratung.

Man könnte es auch als Hilfe zur Selbsthilfe angesichts der allgegenwärtigen Digitalisierung bezeichnen. Der (dank Informationsdidaktik) geschulte Bibliotheksbenutzer, der in der Bibliothek die gesuchte Information auch ohne Bibliothekar findet, ist ebenfalls informationskompetent, wenngleich nicht auf demselben professionellen Niveau wie der Bibliothekar. (Selbst das Berufsprofil der Information Professionals unterteilt sich in mehrere Niveaus.)

Wenn also Bibliothekare von “Informationskompetenz” sprechen, meinen sie

  1. die Bibliothekskompetenz des Bibliothekars (als Ziel des Life-long Learning oder der beruflichen Weiterbildung), sowie
  2. die Bibliothekskompetenz des Benutzers (als Ziel der “Lehrenden Bibliothek”).

Was lernt man in ‘Teaching Libraries’?

Bibliotheken werden als Orte des Lernens propagiert, an denen Wissenstransfer und (Informations-)Kompetenzerwerb stattfinden. (“Das Framework for Information Literacy for Higher Education – in die Praxis umgesetzt!” In: Oliver Renn, Jožica Dolenc, Joachim Schnabl, Kongressbeitrag zum Bibliothekartag 2018, obib 2018/4, 262-275)

Mit eigenen Lehrveranstaltungen wie Coffee Lectures, Menu Card Seminars, aber auch Vorlesungen an der Bibliothek über die Bibliothek und die Bibliotheksbenutzung bis hin zu wissenschaftlichem Arbeiten wandeln sie sich zu “teaching libraries”. Darin werden Bibliothekare zu Lehrern von “Informationskompetenz” im Sinne von Recherche und Informationsbeschaffung (innerhalb der Bibliotheksverbünde). Damit übernehmen sie Kernaufgaben von den wissenschaftlichen Instituten.

Bereits im vorakademischen Bereich übernehmen Schulbibliotheken die Aufgabe, die Schüler an die wissenschaftliche Arbeitsweise heranzuführen.

Es geht also darum, die Bibliothek in der universitären Lehre zu verankern. Denn Universitätsbibliotheken haben oft eine Zwischenstellung zwischen Institut (Studenten betreuen) und Service-Center (interner Dienstleister für das akademische Personal).

Die Forderung nach informationskompetenten Nutzern führt rasch zur Forderung nach einem Lehramtsstudium “Bibliothekarische Bildung”. Ein solches würde die Einrichtung von dazu passenden Hochschulinstituten und Lehrstühlen erfordern (derzeit nur für Informationswissenschaft). Diese könnten dann die Bibliotheken als (vollautomatisierte) Dienstleistung nebenher mitlaufen lassen.

Für welche Informationen sind Bibliotheken NICHT kompetent?

Allen Bibliotheken gemeinsam ist, dass sie publizierte Inhalte (“Medien”) sammeln, erschließen und zur Verfügung stellen. Damit können allerdings Informationen wie Patente, Standards (Industrienormen), Originaldokumente (Akten), Bild- und Tondokumente (von kleinen CD- und DVD-Sammlungen abgesehen), aber auch der ganze Bereich der Wirtschaftsinformation und der social-media-basierten Informationen (trotz User-PCs mit Internetzugang) (noch) nicht von Bibliotheken angeboten werden. Je nach Zielgruppe und Verwendungszweck können  solche Informationen heute jedoch eine wichtigere Rolle spielen als wisschenschaftliche Fachinformation. Auch die Schlacht mit Fake News und Desinformation spielt sich nicht in den Bibliotheken ab.

Es versteht sich von selbst, dass angesichts der Anforderungen an den Umgang mit Information in einer digitalen Welt Bibliothekskompetenz nicht genügt, um relevante Informationen zu beschaffen, zu beurteilen, in Wissen, Entscheidungen oder neue Informationen einzuarbeiten und über die gebotenen Kanäle weiter zu kommunizieren.

 

One Thought to “Bibliothekskompetenz ist nicht genug”

  1. Hermann Huemer

    Zwei Websites zum Thema:
    AGIK Arbeitsgruppe Informationskompetenz an Schweizer Hochschulen
    http://www.informationskompetenz.ch/de/

    Förderung der Informationskompetenz der Studierenden an der Universitätsbibliothek Freiburg
    https://www3.unifr.ch/biblio/kurse/

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